Vor kurzem wurde ich per Email nach kulturellen Unterschieden zwischen Kanada und Deutschland gefragt im Hinblick auf das Thema “Auswandern nach Kanada”. Für den Fall, dass meine bescheidene Meinung noch jemanden interessiert, hier meine Antwortmail:
Integration
Kanada ist wie die USA ein Einwandererland und muss sich daher auch Gedanken darum machen, wie die Einwanderer am besten in die Gesellschaft integriert werden (so wie wir in Deutschland es ja auch tun). Allerdings verfolgen die Kanadier einen etwas anderen Ansatz als viele andere Länder: Im Gegensatz zum melting pot USA (dem Schmelztiegel, in den alle Einwanderer rein geschmissen werden und sich dann angleichen; Deutschland hat da ja ähnliche Ziele), sehen sich die Kanadier eher als Mosaik (d.h. die kulturellen Unterschiede sollen nicht ausgeglichen, sondern erhalten werden). In der Tat sieht man z.B. in Toronto viele kleine “Kulturdörfer” wie China Town, Little Italy, etc. Die Gegend um Kitchener/Waterloo ist ein deutsches Nest, wo einige deutsche Bräuche aufrecht erhalten werden (z.B. Oktoberfest, Weihnachtsmarkt, Bäckereien/Metzgereien im deutschen Stil). Trotz der versuchten Erhalung kultureller Unterschiede spricht man in öffentlichen Einrichtungen (Schule, Uni, etc) nur Englisch (gut, auch Französisch, aber dazu gleich mehr).
So weit zur schönen Theorie. Man hört aber trotzdem vereinzelt mal Stimmen von “Alteingessenen”, dass bestimmte Einwanderungsgruppen “ihr” Kanada doch so in Negative verändern würden. Allerdings hatte ich den Eindruck, dass diese Stimmen nicht so sehr öffentlich erklingen.
Identität
In Europa gibt es die meisten Staaten schon viele Jahrhunderte und im Laufe der Zeit konnten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen sich eine feste Identität aufbauen. Kanada gibt es noch nicht so lange und daher fragen sie Kanadier öfter, was denn überhaupt ihr Land ausmacht.
Verstärkt werden diese Zweifel durch die Zweisprachigkeit (Englisch – Französisch). In Quebec ist Französisch die einzige offizielle Sprache, während alle anderen Provinzen offiziell zweisprachig sind (dort aber fast nur Englisch gesprochen wird). “Die Francophonen” sehen sich selbst oft als andere Kultur als “die Anglophonen” und es gab in den 70ern und 90ern sogar Volksabstimmungen in Quebec über die mögliche Abspaltung von Kanada (die beide nur sehr knapp für den Verbleib in Kanada ausgegangen sind).
Außerdem haben die Kanadier einen momentan kulturell sehr einflussreichen Nachbarn, die USA. Fast alle Kanadier leben sehr dicht an der Grenze zu den USA (ich glaube 80% innerhalb von 200km zu den USA oder so). Daher fällt es den Kanadiern oft sehr schwer, sich kulturell von den USA abzusetzen und ich hatte den Eindruck, dass sie es schon fast krampfhaft versuchen (Mosaik statt melting pot; besseres Sozialwesen; friedliebender (all dies behaupten Kanadier von sich verglichen mit den USA)).
Aus diesen Gründen sind die Kanadier eher auf Identitätssuche als wir Deutschen, was vielleicht zur gewünschten Vielfältigkeit (s.o.) führt und es eventuellen Einwanderern relativ leicht macht, sich einzugliedern.
Gut, das wären die wichtigsten kulturellen Unterschiede, die mir auf die Schnelle einfallen. Ein Punkt wäre vielleicht noch in Bezug auf Auswandern interessant:
Wirtschaftsboom in Alberta
In der Provinz Alberta (insbesondere in der Gegend um Calgary) herrscht im Moment angeblich ein regelrechter Wirtschaftsboom. Dort gibt es anscheinend relativ viel Öl und dadurch sehr viele Jobs. Alberta hat dank der hohen Ölpreise einen so großen Haushaltsüberschuss, dass sie nicht wissen wohin mit ihrem Geld und daher im Winter 2005/06 jedem Einwohner von Alberta $400 ausgezahlt haben. Dort herrscht sogar ein Arbeitskräftemangel (das Wort gibt es Deutschen gar nicht, glaub ich ;–)) und sie machen im Ausland (z.B. China) Werbung, die Leute sollen doch zum Arbeiten nach Alberta kommen. Das ist natürlich ein guter Anreiz, auch für uns arbeitslosen Deutschen…
Weitere Kommentare zu den Unterschieden zwischen Kanada und Deutschland findet ihr hier.