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Studieren in Kanada

Hallo Leute,

heute ist Tag der Deutschen Einheit, aber hier in Kanada bekommt man davon natürlich nichts mit. Trotzdem wünsche ich euch einen schönen Feiertag, auch wenn er in Deutschland jetzt schon vorbei ist…

Dafür haben wir in Kanada nächste Woche Montag unseren Feiertag: Thanksgiving. So ein langes Wochenende bietet sich natürlich für einen Trip an. Vielleicht schaffen wir es ja, ein paar Tage im Algonquin Park Kanu zu fahren in der Hoffnung, dass der Indian Summer bis dahin in vollem Gange ist…

Jetzt sollte ich aber wie versprochen ein bisschen vom Unileben in Kanada bzw. Waterloo erzählen. Auf den Vorbereitungsseminaren wurden uns einige Dinge über kanadische Unis erzählt, die ich kaum glauben konnte, wie zum Beispiel:

  • es gibt so viele assignments, dass man das ganze Semester über diszipliniert arbeiten muss, was für deutsche Studenten sehr ungewohnt ist
  • der Konkurrenzkampf ist so groß, dass man mit anderen Studenten nicht über die Lösungen zu den assignments spricht
  • die Mitarbeit während der Vorlesung fließt in die Endnote mit ein

Mit solchen Vorstellungen über kanadische Unis kam ich also hier in Waterloo an, aber um es vorweg zu nehmen, diese Gerüchte haben sich (zum Glück) nicht bewahrheitet.

Der (noch) augenfälligste Unterschied zum deutschen Studiensystem ist sicherlich, dass kanadische Unis saftige Studiengebühren verlangen: Je nach Programm und Studienabschnitt zahlt man in Waterloo zwischen 3000 und 12000 kanadische Dollar pro Term (4 Monate). Dazu kommt noch, dass die Studentenwohnheime nicht von einem Studentenwerk subventioniert werden und daher ähnlich teuer wie Zimmer auf dem freien Markt sind. Möchte man mal auf dem Campus essen, dann geht man nicht in eine vom Studentenwerk organisierte Mensa, sondern in die Filialen der verschiedenen Fast Food Ketten auf dem Campus. Natürlich gelten für Studenten dieselben Regeln wie für den Rest Kanadas auch, so dass man für ein Mittagessen zwischen 5 und 8 Dollar zahlen muss. Aber das war noch nicht alles: Da die Bibliotheken von jedem Buch nur ein oder maximal zwei Exemplare verfügbar haben und die Profs sich teilweise sehr eng an irgendwelche Bücher halten, wird einem wärmstens empfohlen, sich diese Bücher zu kaufen. Wenn man nicht das Glück hat, das richtige Buch (in der richtigen Auflage) im Used Book Store zu finden, muss man eben 100 bis 150 Dollar pro Buch ausgeben. Bei drei oder vier Vorlesungen geht das ganz schön ins Geld. Studieren in Kanada ist also teuer!

Zum Glück gibt es dafür ein relativ gut ausgebautes Stipendiensystem und einige Jobs für Studenten auf dem Campus. Außerdem haben diese immensen Kosten die Folge, dass die Studenten versuchen, ihr Studium so schnell wie möglich durchzuziehen und da die meisten Stipendien direkt an die Studienergebnisse gebunden sind, ist die Motivation entsprechend hoch. Insgesamt, habe ich den Eindruck, dass es viel weniger Langzeitstudenten gibt als in Deutschland.

Aber was bekommt man dann für seine Studiengebühren außer etwas Motivation und Arbeitsmoral? Das habe ich mich lange gefragt, schließlich fließt das Geld nicht in Subventionen für Wohnungen, Essen oder Arbeitsmaterialien. Eventuell ist die technische Ausstattung der Hörsäale und Computerräume etwas besser als in Deutschland, aber so groß ist der Unterschied nicht. Mittlerweile denke ich, ein Großteil des Geldes wird für Freizeitangebote für Studenten ausgeben: Man kann das Schwimmbad, zwei Krafträume, Fussball-/Volleyball-/Eishockey/Badminton oder Footballfelder kostenlos nutzen und viele Sport- oder Freizeitkurse werden günstig angeboten. Auch andere Serviceleistungen werden für Studenten kostenlos angeboten, wie zum Beispiel Beratungsstellen für alle denkbaren Probleme wie z.B. Leistungsdruck, Probleme mit Kommilitonen, “carreer services” oder auch akademische Beratung zur Kurswahl. Einen Teil seines Geldes, wenn auch einen kleinen, bekommt man also in Form von Serviceangeboten zurück.

Ein bisschen hatte ich gehofft, dass die Bürokratie etwas unkomplizierter ist als in Deutschland. Aber ich wurde enttäuscht: Kanadier sind zwar generell viel freundlicher als deutsche Bürokraten, was aber nicht heißt, dass der Papierkram schneller oder unkomplizierter erledigt wäre. Ein gutes Beispiel ist das Einschreiben für einen Kurs: Hier in Kanada kann man nicht einfach in jeden beliebigen Kurs gehen und sich in der ersten Woche in eine Liste eintragen und nicht mehr hingehen, wenn der Kurs doch zu schwer oder schlecht ist. Stattdessen muss man sich zentral in den Kurs einschreiben und kann ihn nur bis zu einer bestimmten deadline wieder “droppen”. Verpasst man diesen Termin, so bekommt man einen Vermerk ins Zeugnis, dass man den entsprechenden Kurs nicht bestanden hat. Der Einschreibevorgang scheint zunächst ganz einfach zu sein: Man geht ins Netz, sucht sich den Kurs raus und fügt ihn zu seinem Stundenplan hinzu. Aber das wäre zu einfach, also muss man noch einen Zettel ausfüllen, ihn sich vom Prof und einem Berater unterschreiben lassen und wieder an der richtigen Stelle abgeben. Einige Fakultäten haben jedoch die Richtlinie, dass die Profs die Zettel nicht selbst unterschreiben dürfen, sondern nur spezielle Berater. Diese unterschreiben aber nicht blind den Zettel, sondern kontrollieren, ob alle Voraussetzungen für den Kurs erfüllt sind. Da man als Austauschstudent diese aber nicht ordentlich nachweisen kann, muss man zunächst mit dem Prof reden, der dem Berater dann die Erlaubnis schreibt, für ihn den Zettel unterschreiben zu dürfen. Alles klar? Wenn man nun als Graduate Student einen Undergradkurs belegen möchte oder umgekehrt, dann muss man jedoch zusätzlich noch einen zweiten speziellen Zettel ausfüllen. Diesen dürfen zum Glück aber alle Profs selbst unterschreiben.

Wenn man das alles hinter sich gebracht hat, kann man endlich anfangen zu studieren und es stellt sich heraus, dass der kanadische Unialltag dem deutschen sehr ähnlich ist: Studenten sind nicht so verbissen wie befürchtet und man hilft sich gegenseitig, in den Vorlesungen wird die Mitarbeit nicht bewertet (wie denn auch?) und auch in Kanada gibt es gute und weniger gute Profs. Jedoch sind die Profs etwas lockerer: Ich habe noch keinen mit Hemd oder gar Krawatte gesehen und der Umgang zwischen Profs und Studenten ist lockerer. Die englische Univeralanrede “you” leistet dazu sicher auch einen Beitrag.

Die Übungszettel sind etwas mit denen in Deutschland vergleichbar. Teilweise sind sie etwas umfangreicher, aber dafür nur zweiwöchentlich abzugeben. Wenn man es also gewöhnt ist, mehrere Übungszettel pro Woche abzugeben, dann kann einen das kanadische System auch nicht umhauen.

Studentenparties gibt es natürlich auch in Kanada. Auf dem Campus sind direkt zwei Clubs und Privatparties gibt es auch genug. Dabei wird jedoch ständig das Alter kontrolliert, da man in Kanada erst ab 19 trinken kann und einige First-Years ja erst 18 sind. Ohne Ausweis kommt man also nirgends rein.

Aber ich möchte jetzt nicht zu viel über die kanadische Party- und Trinkkultur erzählen. Dem Thema werde ich wohl eher einen komplett eigenen Tagebucheintrag widmen.

Ich hoffe, damit sind die meisten eurer Fragen beantwortet. Wenn ihr noch weitere habt, nur her damit!

Also, bis demnächst,

Eike